Und da hielten wir ihn wieder in der Hand: Einen positiven Schwangerschaftstest. Als nach einer kurzen Zeit des Bangens deutlich war, dass wir ein weiteres Kind in unserer Familie willkommen heißen dürfen, war die Freude natürlich groß. Aber dieses Mal drehte sich das Gedankenkarussell natürlich nicht nur um Dinge, die uns halt so durch den Kopf schwirrten, als wir das erste Mal Eltern wurden. Sonders es stand vor allem eine andere Frage plötzlich im Raum: „Wie wird diese Umstellung für das ‚große‘ Kind werden?“
So vertraut und doch so anders
Meine erste Schwangerschaft habe ich wirklich sehr genossen. Die Wehwehchen hielten sich in Grenzen, ich konnte selbstbestimmt meine Tage planen und mir – je nach aktueller Verfassung – Pausen und Auszeiten nehmen, um Kraft zu tanken und wieder energievoll durchzustarten. Ich bin regelmäßig zum Sport … und hatte trotz Vollzeit-Job viel Zeit, mich mit Nestbau, Shopping und meinen Freunden zu beschäftigen. Rückblickend weiß ich dies erst jetzt richtig zu schätzen … denn eine weitere Schwangerschaft mit Kleinkind daheim kann ganz schön fordernd sein. Abgesehen von den körperlichen Anstrengungen einer Schwangerschaft und den alltäglichen To-Dos, die als Familie so anfallen, schien unsere „große“ Tochter Bente nach Bekanntgabe der Schwangerschaft doch etwas mehr an dem Thema zu knabbern zu haben.
Für immer klein bleiben
Eigentlich hatten wir uns darauf eingestellt, dass erst nach der Geburt die angekündigte „Nachgeburtliche Geschwisterkrise“ auf uns warten würde. Aber Bente schien andere Pläne und vor allem Sorgen zu haben. Neben dem Wunsch, viel und oft Baby zu spielen, welchen wir ihr immer gerne erfüllten, stand für sie plötzlich fest, dass sie niemals groß werden wollen würde und für immer zwei bleiben wollte. ‚Groß sein/werden‘ und vor allem der Ausdruck ‚große Schwester‘ wurde nach und nach zu einem absolut sensiblen Thema, dass bei ihr regelmäßig für viele Tränen sorgte und uns viele Sorgen bereitete. Vor allem Außenstehende stapften regelmäßig unbewusst in dieses Fettnäpfchen und nicht einmal die Aussicht auf eine Geburtstagsparty und schöne Geschenke zum dritten Geburtstag konnten Bentes Meinung ändern: Groß werden und alles was damit zu tun hatte war einfach keine Option mehr.
Die erste große Lebenskrise
Ein Geschwisterchen zu bekommen ist quasi eine der ersten großen Lebenskrisen für ein älteres Kind. Und um diese erhebliche Krise zu überstehen, benötigt es die Begleitung und Unterstützung der Eltern. Trotz aller Vorbereitung kann die Geburt eines Geschwisterchens ein Schock sein, der auf unterschiedliche Weise verarbeitet wird.
Die möglichen Reaktionen sind vielfältig:
- Das ältere Kind verhält sich aggressiv gegenüber dem Geschwisterchen, gegenüber den Eltern, hat eine geringe Frustrationstoleranz und starke Gefühlsstürme.
- Das ältere Kind verhält sich regressiv, also wie ein Baby, möchte wieder gewickelt werden, möchte auch ein Fläschchen oder Stillen und ist plötzlich wieder ganz klein.
- Das ältere Kind zieht sich zurück, lässt die Eltern in Ruhe, spielt still und in Ruhe und lässt sich eigentlich nichts anmerken. Möglich ist auch eine Mischung aus den oben genannten Reaktion oder sogar gar keine dieser Strategien.
Gemeinsam durch die Krise
Auch wenn wir uns der nachgeburtlichen Geschwisterkrise früher als gedacht stellen mussten, stand für uns fest, dass wir Bente mit viel Geduld und Einfühlungsvermögen durch diese Umstellung begleiten wollten.
Hierbei hat uns folgendes gut geholfen:
- Das Umfeld für diese besondere Situation sensibilisieren und z. B. anstatt „große Schwester“, einfach nur „Schwester“ sagen.
- Mit Bente ins Gespräch gehen und ihr versuchen, ein paar ihrer Sorgen und Ängste zu nehmen. So hat es sehr geholfen, ihr zu versichern, dass wir auch nach Geburt des Geschwisterchens zwei kleine – und nicht ein großes und ein kleines – Kind daheim haben werden.
- Sofern möglich haben wir Bente in alle Vorbereitungen rund um die Ankunft des Geschwisterchens mit eingebunden. Sie durfte sogar einmal mit zur Vorsorge zum Frauenarzt. Das Kinderzimmer haben wir frühzeitig eingerichtet, sodass Bente genug Zeit hatte, alle Baby-Dinge auszuprobieren und auch damit zu spielen.
- Ihrem öfter geäußerten Wunsch, im Spiel wieder Baby zu sein, sind wir immer nachgekommen.
- Wir haben versucht, ihr vorab viel besonders exklusive Zeit mit Mama und Papa zu geben. Hierbei ging es gar nicht um kostspielige Ausflüge oder ähnliches, sondern viel Kuschelzeit, gemeinsames Spielen, Vorlesen etc.
Die Ruhe nach dem Sturm
Auch wenn in unserem Fall die Geburt des Geschwisterchens noch nicht allzu lang her ist und sich die Rollen in unserer Familie noch immer neu finden müssen, haben wir schnell festgestellt: Den größten Teil der Geschwisterkrise haben wir bereits im Vorfeld gemeinsam durchgestanden. Bente hat sich als stolze und liebevolle große Schwester herausgestellt, die beim ersten Kennenlernen von sich aus verkündete, nun eine „richtige große Schwester“ zu sein. Das Wörtchen ‚groß‘ schien also von jetzt auf gleich seinen Schrecken verloren zu haben.
Natürlich lief auch von da an nicht alles reibungslos … Vor allem wenn Besuch vorbeikam, entschied Bente sich, durch wildes, lautes und aufgeregtes Verhalten die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Auch begann sie in solchen Situationen ihre Grenzen zu testen und zu provozieren, um unsere Bindung und Liebe zu ihr auf die Probe zu stellen. Ehrlich gesagt war es nicht immer leicht, in diesen Momenten einen kühlen Kopf zu bewahren … und die Tage, an denen uns die Ohren vor lauter Lärm und aufgeregtem Toben nur so klingelten, waren zahlreich.
Aber die Suche nach Aufmerksamkeit und Bestätigung wurde von Tag zu Tag weniger dringend – und inzwischen freuen wir uns jeden Tag darüber, mit ansehen zu dürfen, wie die Liebe zwischen ihr und ihrem Geschwisterchen wächst und wir als Familie allmählich unseren Weg finden.
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